Die Kunst der Heilung
Film-Still aus Porcelain White: The Conversatione
von Venuri Perera und Zwoisy Mears-Clarke © Perera/Mears-Clarke
Bereits zum zweiten Mal läuft im Kunstraum eindorf das Festival COOK, EAT & CLEAN. Diesmal steht mit dem Thema Art and Healing: Restor(y)ing the body der Körper vom 14. bis 21. Dezember im Zentrum. Die Wiener Choreografin Linda Samaraweerová kuratiert das siebentägige Programm aus Performances, Workshops Vorträgen und einem mehrtägigen Labor. Dabei stellen sich Fragen an den Körper im Kontext von Spiritualität, Ethik, Kunst und Heilung. Aus unterschiedlichen Perspektiven nähern sich die nationalen und internationalen Beiträge der Idee, den Körper neu zu erzählen. Die Faszination für Linda Samaraweerová besteht in der intensiven Begegnung von Künstler*innen, Musiker*innen, Ärzt*innen und Wissenschaftler*innen. Die Besucher*innen sind eingeladen, in einer berührenden Atmosphäre neue Zugänge zum Körper und spirituellem Wissen zu erfahren.
Zu erleben sind dabei künstlerische Arbeiten der Choreograf*innen Ondine Cloez aus Frankreich, Kotomi Nishiwaki aus Japan/Spanien, Venuri Perera aus Sri Lanka, Zwoisy Mears-Clarke aus Jamaica, des indischen Filmemachers Ujjwal Kanishka Utkarsh, dem russischen Schriftsteller und Regisseur Ivan Strelkin und einem Konzert der tschechischen Band Mantrovníci, eingebettet in Vorträgen, Workshops und Gesprächen - kleine Verköstigungen inbegriffen.
Zerrüttete Welten
In seinem Solo der vergewaltigten Geige zeichnet der russische Regisseur und Schriftsteller Ivan Strelkin die Schicksale von sieben Menschen nach, die in einer vom Krieg zerrütteten Welt nach Wien kamen und nach einer neuen Identität suchen. Die von Strelkin gespielten sieben Charaktere und deren Geschichten basieren auf tatsächlichen Gegebenheiten. In ihrer Sprachgewalt und -fantasie nehmen die Texte von Solo der vergewaltigten Geige durchaus bulgakowsche Züge an. Die Inszenierung changiert zwischen Literatur und Tanz und bildet so eine Brücke zwischen Sprachlichkeit und intensiver Körperlichkeit: Die Energie des Textes geht in die Bewegung über und kehrt wieder zurück; die Rezitation ist rhythmisch und melodisch wie eine Musikkomposition organisiert und schafft zusammen mit der Bewegungspartitur eine originelle Form der Performativität.
In der falschen Kaste
Am 17. Januar 2016 beging Rohith Vemula Selbstmord. Er beging Selbstmord wegen der Unterdrückung, der er durch die Universitätsverwaltung ausgesetzt war, weil er einer bestimmten Kaste angehörte, und wegen seiner aktiven Rolle in der Dalit-Politik auf dem Campus.
Foto aus der Performance The first word of the first poem of the first collection is basket
von Ondine Cloez und Kotomi Nishiwaki © G. Robert
Sein Tod löste eine Welle von Protesten im ganzen Land aus. Der Staat reagierte mit Unterdrückung und Gewalt. Der indische Filmemacher Ujjwal Kanishka Utkarsh zeigt in einem Kurzfilm das tragische Schicksal von Rohith Vemula und liest aus seinem Abschiedsbrief.
Weißes Erbe
Die beiden Choreograf*innen Venuri Perera aus Sri Lanka und Zwoisy Mears-Clarke aus Jamaica sind in ehemaligen britischen Kolonien geboren und stellen fest, dass sie ein gemeinsames „weißes“ Erbe haben. Sie sind beide in der englischsprachigen Mittelschicht aufgewachsen, die bestimmte, von den ehemaligen Kolonialherren übernommene Praktiken beibehielt, um ihren sozialen Status zu schützen. In dem Film Porcelain White: The Conversationuntersuchen Perera und Mears-Clarke ihre Mitschuld. Und entschlüsseln die Komplexität und die Grenzen ihres ererbten Privilegs, während sie neokoloniale Räume bewohnen.
Geschriene Körpergefühle
Ein Tanka ist eine kurze Form japanischer Poesie in 31 Silben (5-7-5-7-7), die etwas bisher Unsichtbares oder Unbekanntes offenbart: ein Gefühl, eine Empfindung, eine Erinnerung, ein Wunsch, eine Fantasie. In ihrem Duett The first word of the first poem of the first collection is basket übersetzen die Choreografinnen Ondine Cloez aus Frankreich und Kotomi Nishiwaki aus Japan alles, was ihnen passiert, wenn sie auf der Bühne stehen. Es ist ein Gespräch, in dem sich Vergangenheit, Gegenwart, Missverständnisse, Komplizenschaft und Verwirrung vermischen. Es ist aber auch eine Performance der Gefühle, die zwischen sanftem Wispern und heftigem Schreien durch ihre Körper ziehen.
Die tschechische Band Mantrovici © Mantrovici
Kontemplative Musik
Die tschechische Band Mantrovníci bringt Musik ins eindorf und spielt Lieder, die die Seele erfreuen, seien es tschechische Texte oder indische Mantras. Sie laden zum Eintauchen in Kontemplation, aber auch zu Freude und Tanz ein. Genremäßig lassen sie sich nur schwer einordnen, hinsichtlich Repertoire und Besetzung gibt es keine klaren Grenzen. Dennoch ist immer die Handschrift im Thema und im musikalischen Ausdruck angesichts der spirituellen Ausrichtung und des Schaffens des Autors der meisten Kompositionen, David Breiter, lesbar.
Körperheilung: Von Fake-Theraphie zu tiefen Körperempfindung
Neben den künsltlerischen Positionen hat Samaraweerová auch Wissenschaftler*innen, Ärte wie auch Küntler*innen eingeladen, die sich der Heilung des Körpers zuwenden. So gibt der international tätige indische Arzt, Philosoph und Denker Dr. Ajit Kulkarni im eindorf eine Einführung in ein Grundverständnis von Gesundheit, Krankheit und Kreativität aus medizinisch homeopathischer Sicht.
Die Künstlerin und Professorin Valentina Desideri zeigt Praktiken von der Fake-Therapie über die politische Therapie bis hin zum Sensing Salon, die die Wiederherstellung der Gesundheit als Ziel haben sowie das Aufspüren und Erzeugen von Sinn. Desideri Forscherin am Centre for the Arts and the PoliticalImaginary an der KKH/HDK-Valand in Schweden und Postdoctoral Fellow am Critical Racial AntiColonial Studies Co-Lab an der NYU.
Linda Samaraweerová © Christine Pichler